
Hattet Ihr auch eines? So ein kleines, bunt eingeschlagenes Büchlein mit weißen Seiten, in das Eure Eltern, Lehrer und Schulkameraden tiefsinnige bis sinnlose Sprüche geschrieben haben?
Lebensweisheiten mit glitzernden Glanzbildern verziert? Glanzbilder von Rosen und Vergissmeinicht.

Ich habe mein Poesiealbum nach vielen Jahren mal wieder zur Hand genommen, nachdem ich bei Lutz Prauser, dem Zwetschgenmann, einen Beitrag über genau dieses gelesen habe. Beim Durchblättern kam doch so einiges Erstaunliches zu tage.

Lutz schreibt, dass Lehrer es gern mit Goethe hielten und siehe da, zu „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ wurde auch ich von meinen Lehrern ermahnt. Gleich zwei Mal! Und auch sie begnügten sich mit diesen ersten zwei Zeilen aus Goethes „göttlichem“ Gedicht.

Einen sehr schönen Text (nach Peter Roseggere (1843 – 1918)) schrieb mir auch eine Lehrerin:
Ein bisschen mehr Freude und weniger Streit,
ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,
ein bisschen mehr Wahrheit immerdar,
und viel mehr Hilfe bei jeder Gefahr!
Ein bisschen mehr „Wir“ und weniger „Ich“,
ein bisschen mehr Kraft, nicht so zimperlich;
und viel mehr Blumen während des Lebens,
denn auf den Gräbern da sind sie vergebens.
Dazu malte sie mir rosa Fingerhutblüten vor leicht im Wind gebeugten Grashalmen. Viel schöner als die Glanzbilder es je sein konnten.

Auch ein Sinnspruch von Kleist wurde mir von einer Lehrerin ans Herz gelegt:
Frage dich immer in jeder Lage des Lebens, ehe du handelst:
Wie könnte ich hier am edelsten, am schönsten, am vortrefflichsten handeln?
Und was dein erstes Gefühl dir antwortet, das tue!
Edel und schön handeln ist heute wohl eher aus der Mode geraten. Wer macht sich noch Gedanken, ob sein Handeln edel und schön ist? Hat man heute überhaupt noch eine Vorstellung davon, was schönes Handeln sein könnte?

Schülersprüche hingegen thematisierten meist Freundschaft und Glück, aber auch Pflicht und Fleiß. Schrieb man da vom Poesiealbum der Eltern ab?
Ja, „Spare, lerne, leiste was; dann hast du, bist du, kannst du was“, wurde mir doch tatsächlich von einer Mitschülerin geraten.

Du kannst der Sonne nicht entgegeneilen,
auch nicht nachlaufen,
aber Du kannst sie immer
im Herzen tragen.
Diese weise Erkenntnis findet sich auch in meinem Poesiealbum.

Und einen wunderschönen Fontane habe ich gefunden, in dem kleinen Büchlein:
Es kann die Ehre dieser Welt
Dir keine Ehre geben,
was dich in Wahrheit hebt und hält,
muss in Dir selber leben.
Das flüchtige Lob, des Tages Ruhm,
magst Du den Eitlen gönnen;
das aber sei dein Heiligtum:
vor dir bestehen können.

Gibt es in Eurem Poesiealbum einen Spruch, der Euch tatsächlich im Bewusstsein blieb? Eine Lebensweisheit, Die Euch tatsächlich begleitet hat? Ich habe einen, der mich seit meiner Poesiealben-Zeit begleitet:
Redet einer schlecht von dir,
sei ‘s ihm erlaubt.
Doch du, du lebe so,
dass keiner es ihm glaubt!

Nicht sehr poetisch und auch nicht besonders philosophisch aber auf jeden Fall „hilfreich und gut“.