
Regen klatscht gegen die Fensterscheiben, Sturm pfeift um die Hausecke, die Lichterketten hüpfen mit jeder Windböe auf und ab – schon seit Tagen.
In der Stube ist es warm und wohlig, Kuschelpulli und Sofadecke, im Fernseher läuft „Frau Holle“ (ich liebe die Märchen-Verfilmungen der ARD).
Weihnachtliche Gemütlichkeit.

„Schatz, kommst Du nachher mit nach St. Peter? Etwas laufen?“ Ich hätte auch „Schatz, soll ich nachher das Raumschiff aus der Tiefgarage holen und fliegst Du mit mir zum Mond?“, fragen können. Der ungläubige, entsetzte Blick wäre wohl der gleiche gewesen.
Mit „Nicht so gerne“ fällt die Antwort jedoch erstaunlich milde aus. Es gibt Dinge, die muss man alleine machen.

Von Westen reißt der Wolkenhimmel auf, über Eiderstedt ist es pechschwarz. Graupel setzt ein, waagerecht und von vorn – genau in dem Moment, in dem ich die Deichkrone erreiche.
Graupelkörner prasseln mir stechend ins Gesicht. Schnell ein Foto und zurück ins Info-Häuschen neben dem Parkplatz. Abwettern nennt man das wohl.

Dann plötzlich Sonne, ein Regenbogen, ein zweiter, viel zarter, gleich daneben.
Leuchtende Farben vor drohend dunklem Himmel. Die verdorrten Salzwiesengräser leuchten golden. Der nasse Plattenweg glitzert dem Horizont entgegen, die schwarzen Silhouetten der Pfahlbauten markieren mein Ziel.
Es ist mühsam, gegen den Sturm zu laufen. Vorn übergebeugt stapfe ich den schier endlos wirkenden Weg durch die Salzwiesen zum Böhler Strand. Es gibt Dinge, die muss man wohl doch nicht unbedingt machen?

Auf halben Weg wird der Plattenweg durch einen Holzsteg ersetzt. „Rutschgefahr bei Nässe“ warnt ein Schild. Der Sturm rüttelt an mir, drückt mich zurück und lässt plötzlich nach. Unkontrollierte, schnelle Schritte folgen.
Jetzt noch vom Steg fallen, in den Matsch, Fuss verstauchen, keine Menschenseele weit und breit, …, halt! Kopfkino ausschalten und weiter!

Und plötzlich stellt es sich wieder ein. Dieses grandiose Gefühl der Freiheit, der Grenzenlosigkeit, des Eins sein mit den Naturgewalten.
Ganz klein und winzig stehe ich neben den mächtigen Pfählen der Seekiste. Die kurzen Wellen klatschen gegen das nasse Holz, es hört sich dumpf und hohl an. Der Sturm peitscht die Gischt über den Strand und ich stehe dort und fühle mich einfach nur grandios.
Jedes Foto ist eine Herausforderung. Erst die Linse trockenputzen – womit? – alles ist nass – dann ruhig halten – wie? – der Sturm rüttelt am festen Stand.
Ich lehne mich an die Pfähle, umarme Pfosten, lege die Kamera auf Balken. Ein paar schöne Bilder sollten gelingen, das glaubt mir ja sonst keiner.

Die Sonne wandert langsam dem Horizont entgegen und taucht Wolken, Wasser und das feuchte Holz in ein helles Orange. Die warmen Farben stehen im krassen Gegensatz zum eisig heulenden Wind, aber mir ist nicht kalt.
Ich laufe die Stege entlang und genieße das Licht, die Farben, das Wellenrauschen und Sturmgeheul.

Fast unbemerkt läuft immer mehr Wasser unter die Planken, rollen die weiß umsäumten Wellen auf den Wiesensaum zu. Wo ich eben noch stand, ist schon Wasser.
Nicht bedrohlich aber stetig und schnell läuft die Flut auf. Zeit zu gehen, wenn man keine nassen Füße riskieren möchte.
Zurück schiebt mich der Wind vor sich her. Kurz vor dem Deich kommen mir ein paar ebenso Wagemutige entgegen. Man grüßt: „Frohe Weihnachten“ und das klingt hier draußen irgendwie abgefahren.
„Ja, frohe Weihnachten!“ grüße ich zurück und muss tatsächlich lachen.