Es ist sicher nicht die Frage aller Fragen, aber man könnte sie ja trotzdem stellen: Was macht eine Graugans so den ganzen Tag? Im April besteht ein grosser Teil des Gänse-Alltages aus Brüten.
Zwischendurch und ab und zu wird ein wenig geschwommen, getaucht und geschnattert.
So viel Bewegung macht hungrig. Gans watschelt ganz gemächlich das Ufer hinauf um ein wenig vom frischen, grünen Gras zu zupfen.
Nach der Mahlzeit sollst Du ruhen oder, wenn Du eine Gans bist, kräftig die Flügel ausschütteln…
…um Dich anschliessend ausgiebig zu putzen. Unter dem Bauch, zwischen den Rückenfedern und auf dem Kopf. Es juckt aber auch überall.
Dann wird es Zeit zurück zu paddeln. Die Gattin wartet sicher schon sehnsüchtig.
Und schon wären wir wieder bei der Hauptbeschäftigung einer Graugans im April. Beim Brüten. (Und zum Glück hat keine Schildkröte das Nest besetzt. Gibt’s nicht? Doch, schaut mal hier: Linsenfutter)
Bei meinem nächsten Besuch im Katinger Watt gibt es dann sicher zu sehen, was da so geduldig ausgebrütet wurde. Ich bin sehr gespannt.
April, Mai, Juni, das sind für mich die schönsten Monate im Jahr. Nicht nur, dass die Natur erwacht, es überall grünt, wieder warm wird und die Tage länger. In diesen Monaten ist auch die Brutzeit vieler Küstenvögel, die ihren Nachwuchs bei uns an der Nordseeküste großziehen werden.
Das Katinger Watt, mit seinen weiten Wiesen- und Wasserflächen, ist eine der artenreichsten und landschaftlich reizvollsten Kinderstuben. Es liegt quasi vor meiner Haustüre und doch ist es schon erstaunliche zwei Jahre her, dass ich dort die kleinen Graugänse beobachtet habe. Warum eigentlich?
Vogelbeobachtungshütten im Katinger Watt
Vor meiner ersten Entdeckungstour in die Welt der Graugänse hatte ich mir ein sündhaft teures Tele-Zoom gekauft und tatsächlich ein paar schöne Szenen einfangen können. Doch das Objektiv und ich wurden keine Freunde; zu groß, zu schwer, zu umständlich. Es landete in der sprichwörtlichen Ecke.
Aber das Thema wollte und will mich nicht loslassen. Begeistert (und ein wenig wehmütig) folge ich Tanja oder Cindy und Ihren faszinierenden gefiederten Bildern. Oder Linsenfutter. Und bei Linsenfutter lief sie mir über den Weg. „Das ist es!“, wusste ich sofort.
Das ungeliebte Tele ließ sich verkaufen und eine P900 wurde bestellt.
Katinger Watt – geschützter Brutraum für viele Vögel
Säbelschnäbler – immer synchrohn
Nonnengans – immer hungrig
Jetzt konnte ich es kaum erwarten, wieder auf Vogelfang zu gehen. Am ersten sonnigen Nachmittag ging’s los.
Die Vogelbeobachtungshütten liegen nicht weit vom NABU Naturzentrum Katinger Watt. Man parkt am besten am Zentrum und läuft dann den Deich hinauf und ein Stück über die Schafswiesen. Von dort führt ein schmaler Weg zwischen zwei hohen Erdwällen direkt zu den Hütten.
Herr Schnatterente schüttelt sich das Wasser aus den Federn
In den Hütten trifft man neben Vogelfreunden mit Fernglas auch auf den passionierten Naturfotografen, der in tarnfarbener Outdoor-Kleidung seine „lange Tüte“ samt Stativ vor einer der Schiebeluken positioniert. Im Raum nur gedämpftes Flüstern, kaum hörbares Summen der Zoom-Motoren, diffuse Lichtfetzen, die durch die Holzspalten einfallen.
Und ich mittendrin, in rotem Hemd und mit lautem Klick-Klick. Herrjeh…
Familie Graugans
„Eine P900?“, spricht mich plötzlich ein Herr an, der gerade seine Kamera neben mir auspackt. „Darf ich ihnen zeigen, wie Sie das Klicken ausstellen können?“, flüstert er fragend und hat meine Kamera schon in der Hand.
„Ich habe sie ganz neu“, entschuldige ich mich und beschließe, das jetzt nicht peinlich zu finden.
Silberreiher mit gelbem Schnabel
Reiher-Ente : Vorlage der Quietscheente
Flussregenpfeifer – Vogel des Jahres 1993
„Ach, sie fotografieren im Automatikmodus?“, fragt er weiter, nachdem er meine Kamera auf lautlos gestellt hat. „Für Vogelaufnahmen würde ich…“, und schon erhielt ich einen kompakten Einführungskurs in meine neue Kamera.
Der freundliche Herr schob mir dann noch seine Visitenkarte hin. Falls ich noch Fragen hätte. Wie nett!
Ein paar Minuten später hörte ich ein leises „Mist, Speicherkarte voll!“ und der freundliche Natur-Fotograf René Schaack verabschiedet sich. Sieh an, auch der Profi hat mal eine Panne!
Der schlafende Schwan
Mein Speicherplatz reichte locker für eine stattliche Ausbeute von über 300 Graugans-, Säbelschnäbler- und Entenbildern.
Nach der ersten Durchsicht sollten so bummelige 100 Fotos übrig bleiben, ein Viertel davon wird es wohl in den Blog schaffen. Kein zu schlechter Schnitt, finde ich.
Die Graugans – sehr fotogen und eines meiner Lieblingsmotive
Und ich habe eine Menge Neues gelernt und gesehen. Ich habe den Flussregenpfeifer kennengelernt (der kleine Piepmatz mit den gelben Augenringen), meinen ersten Silberreiher fotografiert und eine Schatterente – ja, die gibt es wirklich, die heißt tatsächlich so – beim Trockenschütteln erwischt.
Nur der Haubentaucher, der war mir abgetaucht. Plötzlich war der Sucher leer und ich konnte ihn nicht wiederfinden. Wie schade. Aber Spass hat es trotzdem gemacht!
Gänsekinder werden Gössel genannt und sind, wie so viele Tierbabys, einfach zu und zu putzig. Wie sie mit Ihren noch viel zu großen Füssen zwar schon Rennen aber kaum Stehen können und dabei ihre wuscheligen Flügelchen in die Luft strecken.
Auch im Wasser will das elegante Dahingleiten erst gelernt werden. Da geht das Köpfchen schon mal unter und das Schwänzchen in die Luft (erinnert irgendwie an ein Kinderlied…).
Um den Überblick über so eine kleine, wuselige Truppe zu behalten, lernen die Gössel schon früh die geordnete Fortbewegung, den Gänsemarsch. Mutter Gans vorweg, die Kleinen wie an der Schnur aufgereiht hinterher, und Papa Ganter bildet den immer wachsamen Abschluss.
Sozial angesehene Gänsepaare nehmen gelegentlich sogar fremde Gänseküken in Ihre Familie auf. Da können schon mal bis zu zwanzig Winzlinge zwischen dem Elternpaar marschieren. Man nennt dieses Verhalten bei Tieren tatsächlich „Kindergarten“.
Der Nabu Naturführer Eidermündung schreibt hierzu:
Das Ansehen der Elternvögel einer solch großen Kinderschar wächst enorm. Das normale Fußvolk der Gänse macht ihnen huldvoll Platz. Die Adoptivkinder profitieren von der Großzügigkeit der Gastfamilie, indem sie an den besten Nahrungsplätzen fressen dürfen. Der „Vater“ der Großfamilie ist jetzt reich an Ansehen, aber arm an Körpergewicht!
Ganz schön strampeln müssen die Kleinen……durch die Wellen. Da spritzt es schon mal ganz ordentlich……bis die Formation steht.
Mit dem Kindergarten praktizieren Graugänse ein soziales Engagement, dass so manchem Privilegierten unserer eigenen Gesellschaft völlig fremd ist…
Einmal ineinander verliebt, bleiben Graugänse Ihr Leben lang zusammen. Graugänse verpaaren sich meist im zweiten Lebensjahr, brüten dann aber erst zwei Jahre später. Sie genießen sozusagen ihr junges Glück bevor es an die Familienplanung geht.
Im Vordergrund die etwas kleinere Gans, dahinter der stolze Ganter.
Als wären Sie sich der eigenen Harmonie bewusst, gleiten sie Seite an Seite durchs Wasser. Choreographie des Gleichklanges.
Und wie im richtigen Leben, gibt die Gans die Richtung vor und der Ganter hat die Aufgabe, wachsam zu sein und Gefahren abzuwenden.
Was an Land oft unbeholfen wirkt, sieht auf dem Wasser leicht und elegant aus. Auch die Paarung vollziehen Gänse auf dem Wasser. Sie stecken dann den Hals tief ins Wasser und zeigen so dem Partner ihre Bereitschaft.
Aber auch das ist wie im richtigen Leben, so eine Graugans-Dame will auch ein Stück weit erobert werden. Da heisst es schon mal, Schwimmhäute spannen und hinterher paddeln.
Mal schnatternd über das Wasser gleitend, mal „unerlaubterweise“ mitten im Winterweizen, mal entspannt vor sich hin watschelnd oder ganz elegant hoch oben in den Lüften. Die Graugans ist zurzeit vielerorts zu beobachten, besonders gut auf Eiderstedt, in den Schutzgebieten der Eidermündung.
Im Mündungsbereich der Eider ist die Graugans, anders als auf den frischen, grünen Äckern der Landwirte, willkommen. Hier bietet der Naturschutz große, wasserreiche Grünflächen, auf denen sie ungestört fressen und brüten kann. Man schätzt, dass sich jährlich um die 200 Graugänse in den Schutzgebieten der Eider zum Brüten einfinden.
Graugänse sind die wilden Vorfahren der domestizierten Hausgänse und haben somit den ganz großen Vorteil, an Weihnachten nicht in der Röhre zu landen. Vielmehr verbringen sie die Weihnachtszeit am Mittelmeer (obwohl immer mehr Gänse auch winters bleiben – die milden Winter und die intensivierte Landwirtschaft bietet Ihnen ausreichend Nahrung).
Von den Gänsen geht eine Faszination aus, die sicher nicht nur dem kleinen Nils Holgersson geschuldet ist, der in Selma Lagerlöfs Erzählung auf dem Rücken der Graugans Martin durch ganz Schweden reiste.
Ein ziehender Gänseschwarm weckt eine ganz eigentümliche Sehnsucht und nicht selten schaut man ihnen bis zum letzten hörbaren Schrei und letzten sichtbaren Flügelschlag ergriffen nach.
Gänsezug Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Die erste Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: „Seht, ich führe!“
Die letzte Gans im Gänsezug,
Sie schnattert: „Seht, ich leite!“
Und jede Gans im Gänsezug,
Sie denkt: „Dass ich mich breite
so selbstbewusst, das kommt daher,
weil ich, ein unumschränkter Herr,
den Weg mir wähl nach eignem Sinn,
all meiner Schritte Schreiter bin
und meine Freiheit spüre!“
Und der diesjährigen Graugans-Nachwuchs ist auch schon flügge, schwimmt eifrig zwischen Mama und Papa seine ersten Übungsrunden.