Fast wie Urlaub in Frankreich

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Wir stellen uns jetzt mal vor, wir sind in Frankeich im Urlaub (und nicht auf Dienstreise). Es ist ein herrlich warmer Mittwochabend, ein paar Schleierwolken durchziehen den sonst blauen Abendhimmel, die Temperatur liegt bei angenehmen 22 Grad, ein leichter Wind weht.

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Vor uns liegt ein kleines, weißes Hausboot mit roten Fensterläden an der Pier im Hafen von Nantes (und kein großer, futuristisch wirkender, gläserner Ausflugsdampfer).

Wir werden die nächsten zwei Wochen mit diesem schnuckeligen Boot die Schlösser der Loire und der Erdre erkunden (und nicht mit zahllosen anderen Touristen einen Törn unternehmen, der kaum länger als das Abendessen dauert).

Nach dem Ablegen machen wir es uns auf dem Vordeck gemütlich (und nicht an langen Tischen im vollklimatisierten Bordrestaurant).

Wir breiten eine Decke auf den warmen Holzplanken aus und freuen uns auf unser französisches Picknick mit Wein, Käse und Baguette (zugegeben, grüner Spargel, Fisch und Mango-Creme sind auch in Ordnung).

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Leise gleitet unser Boot die Erdre entlang. Prächtige Herrenhäuser ziehen an uns vorbei, ein paar Kormorane fliegen mit uns, landen in der Bugwelle und tauchen nach Fisch.

Die Sonne versinkt langsam hinter den Bäumen und lässt die Wasseroberfläche leicht glitzern. Unsere Gedanken  verlieren sich in den seichten Wellen (und wir reden nicht über den Job).

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Nach Einbruch der Dunkelheit legen wir an einen wettergegerbten Holzsteg, der von tief hängenden Bäumen halb überwuchert ist, an (und nicht wieder im Hafen von Nantes).

Dort werden wir noch eine Weile die Stille und das leise Plätschern des Flusses genießen (und nicht durch die lauten Straßen der Stadt zurück ins Hotel laufen) um uns anschließend in unseren Kojen sanft in den Schlaf wiegen zu lassen (und nicht schlaflos im Hotelbett zu liegen).

Mit ein wenig Fantasie lässt sich jedem Trip eine schöne Seite abgewinnen und wenn ich mir jetzt die Bilder so anschaue, glaube ich es beinahe selbst: es war fast wie Urlaub in Frankreich.

Die Stunde am Fluss

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07:00 Uhr Frühstück, 08:00 Abfahrt Büro, 08:30 Meeting, 12:30 Business-Lunch, 13:00 Meeting, 17:30 Abfahrt Hotel, 19:00 Abendessen… so, oder so ähnlich sieht wohl der Zeitplan vieler Dienstreisen aus. Da macht es kaum einen Unterschied, ob sie nach Dinslaken oder Barcelona führt.

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Wäre da nicht diese eine Stunde vor dem gemeinsamen Abendessen. In dieser Stunde kann man seine elektronische Korrespondenz erledigen oder die Gegend ums Hotel erkunden. Glücklich ist, wer dann die Natur vor der Hotel-Eingangshalle hat und sich gegen den Laptop entscheidet.

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Meine Stunde führte mich an die Erdre, ein Fluss in Frankreich, der bei Nantes in die Loire mündet. Am Ufer der Erdre befinden sich zahlreiche Herrenhäuser, Parks und Schlösser, sehr typisch für die Region Pays de la Loire, und eines dieser altehrwürdigen Gemäuer war bereits vom Hoteleingang zu sehen, das Château de la Gascherie.

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Nach Quartalszahlen, Jahresrück- und Ausblicken tut Natur gut, erdet wieder und lässt – entschuldigt den abgedroschenen Ausdruck – den Kopf frei werden. Am Ufer eines Flusses fließen auch die eigenen Gedanken, zurück an die Flüsse der Kindheit, um Kontinuität und Wandel oder einfach dem Meer entgegen.

Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend, aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen.

Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.

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Sie schafft ewig neue Gestalten, was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder – alles ist neu, und doch immer das Alte. Wir leben mitten in ihr und sind ihr Fremde.

Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie.

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Sie spielt ein Schauspiel: ob sie es selbst sieht, wissen wir nicht, und doch spielt sies für uns, die wir in der Ecke stehen. Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr, und doch rückt sie nicht weiter.

Sie verwandelt sich ewig, und ist kein Moment Stillestehen in ihr. Für`s Bleiben hat sie keinen Begriff, und ihren Fluch hat sie ans Stillestehen gehängt.

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Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann.

Die Menschen sind alle in ihr und sie in allen. Mit allen treibt sie ein freundliches Spiel und freut sich, je mehr man ihr abgewinnt.

Aus:
Die Natur  – Johann Wolfgang von Goethe
Veröffentlicht: 1782/83 im Journal von Tiefurt

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Ja, ich habe ihr eine Freude bereitet, der Natur, in der Stunde am Fluss.